Überlastete Behörden: Wie der Staat an seine Grenzen stößt
Beschäftigte in Behörden in Baden-Württemberg leiden unter enormer Überlastung, unter anderem wegen Personalmangels. Für die Bürgerinnen und Bürger entstehen dadurch mitunter lange Wartezeiten. Eine SWR-Umfrage zeigt, dass Angriffe auf Beschäftigte in Ämtern zunehmen. Außerdem werden nach Angaben der Ämter Entscheidungen immer häufiger in Frage gestellt.Wenn der Staat an seine Grenzen stößt
Zunehmende Gewalt gegen Behördenmitarbeiter
Eine exklusive Umfrage des SWR unter den Mitarbeitenden von Bürgerbüros, KfZ-Zulassungsstellen, Jugendämtern, Baubehörden, Ausländerbehörden und Sozialämtern in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz belegt: Rund 41 Prozent werden mindestens einmal im Monat verbal oder körperlich attackiert. Bei 16,5 Prozent ereignen sich solche Angriffe sogar wöchentlich. Für Verwaltungswissenschaftlerin Eva Thomann von der Universität Konstanz ist das ein alarmierendes Ergebnis. "Das hat mich tatsächlich etwas schockiert, dass es zu einer so starken Zunahme von Angriffen und Anfeindungen gegen Verwaltungs-Angehörige gekommen ist." Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Zum einen hat das Vertrauen der Bevölkerung in die Behörden abgenommen. 84 Prozent der Beschäftigten gaben an, dass Entscheidungen von Behörden häufiger als früher in Frage gestellt werden. Thomann sieht darin einen Beleg dafür, dass die Bürger weniger Verständnis für die Verwaltung haben und das Vertrauen in den Staat abnimmt. Zum anderen führt die massive Überlastung der Ämter zu Frust bei den Mitarbeitern und Bürgern. Lange Wartezeiten, unerledigte Akten und eine steigende Arbeitsbelastung tragen dazu bei, dass die Stimmung in den Behörden zunehmend angespannt ist.Personalmangel und Bürokratie als Hauptprobleme
Laut der SWR-Umfrage sind fast alle Behörden in Baden-Württemberg vom Fachkräftemangel betroffen. Besonders groß ist die Zahl der unerledigten Fälle den Angaben zufolge bei den Ausländerbehörden und den Jugendämtern. Im Jugendamt des Enzkreises sind beispielsweise 13 Prozent der Stellen nicht besetzt. Für die Mitarbeitenden bedeutet das mehr Arbeit - mit potenziell schwerwiegenden Folgen. "Der Supergau im Jugendamt wäre es, wenn ein Kind zu Schaden oder noch schlimmer zu Tode komme, und die Behörde verpasst habe, rechtzeitig zu reagieren", warnt Katja Kreeb, Dezernentin für Familie und Soziales im Enzkreis.Neben dem Personalmangel machen die Beschäftigten in der Befragung auch die zunehmende Bürokratie, neue Aufgabenbereiche, Verordnungen und Gesetze für die Überlastung verantwortlich. Dazu komme die mangelhafte Digitalisierung der Verwaltung. Viele Ämter arbeiten nach wie vor mit Papierakten, die Umstellung auf die elektronische Akte ist zeitaufwendig und teuer. Auch digitale Angebote wie die Möglichkeit, Bauanträge online einzureichen, funktionieren oft nicht wie gewünscht. Frustrierte Bürger, frustrierte Mitarbeiter
Die Folgen der Überlastung sind für alle Beteiligten spürbar. Auf der einen Seite wächst der Ärger der Bürgerinnen und Bürger über lange Wartezeiten und schleppende Bearbeitungszeiten. "Der Frust der Leute ist hoch", berichtet Verena Walk, die drei Jahre lang ein Team im Bürgerbüro Stuttgart-Mitte geleitet hat. Auf der anderen Seite fühlen sich viele Beschäftigte in den Ämtern offenbar alleingelassen. Die SWR-Umfrage zeigt, dass 76 Prozent der Mitarbeiter in Baden-Württemberg das Vertrauen in die Politik, ihrem obersten Dienstherrn, verloren haben. Verwaltungswissenschaftlerin Thomann warnt, dass dieser Vertrauensverlust die Zusammenarbeit zwischen Politik und Verwaltung nachhaltig stören könnte. Hinzu kommt, dass die Überlastung und der Frust der Mitarbeiter auch auf die Bürger ausstrahlen. Eine anonyme Quelle aus der Verwaltung berichtet, dass viele Beschäftigte die Bürger nicht als Partner, sondern als "Kundschaft, die droht mit Auftrag" wahrnehmen würden. Wer kritische Fragen stelle, gelte oft als "Gegner".Neue Konzepte für mehr Sicherheit und Service
Um die Situation zu verbessern, setzen einige Behörden auf neue Sicherheitskonzepte und Serviceverbesserungen. So hat das Bürgerbüro in Freiburg nach einem Angriff auf Mitarbeiter Sicherheitsleute eingestellt und Schulungen mit der Polizei durchgeführt. Gleichzeitig wurde der Kundenbereich so umgestaltet, dass die Mitarbeiter besser geschützt sind. Amtsleiterin Christina Schoch betont aber, dass Sicherheit nicht zu Lasten des Service gehen dürfe. "Wir sind ein Bürgeramt, wir wollen offen sein, wir wollen unsere Kundschaft bedienen." Deshalb setzt Freiburg auch auf Maßnahmen, um die Wartezeiten zu reduzieren. Ein Computerprogramm steuert die Kundenströme, sodass stets genügend Schalter besetzt sind. Schoch ist überzeugt, dass Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit im Gleichgewicht sein müssen, damit der Betrieb reibungslos funktioniert. Tatsächlich landete das Freiburger Bürgerbüro bei einer bundesweiten Umfrage auf Platz 3 der besten Bürgerämter. Ein Beweis dafür, dass innovative Konzepte durchaus Erfolg haben können - wenn die Rahmenbedingungen in den Behörden stimmen.