Bülent Mumay über das Leben in der Türkei wie im Mafiafilm

Jun 21, 2024 at 2:49 PM

Erdogans Türkei: Ein Gefängnis ohne Ausgang

Nach der Niederlage seiner Partei bei den Kommunalwahlen im März 2019 musste Erdogan seine Politik anpassen. Er erkannte, dass die Wähler genug von seiner polarisierenden Rhetorik hatten und seine Distanzierung vom Westen der Wirtschaft schadete. Um die Krise zu bewältigen, suchte er die Annäherung an den Westen, doch sein Bündnispartner Bahceli von der MHP stellte sich quer. Erdogan steht unter Druck, denn er braucht die Stimmen der MHP, um seine Wiederwahl zu sichern. Gleichzeitig droht ihm der Ausschluss aus dem Europarat, sollte er den Menschenrechtler Kavala nicht freilassen. Doch Bahceli will das Rückübernahmeabkommen mit der EU beenden, um Erdogan seinen wichtigsten Trumpf gegenüber Europa zu nehmen. Die Türkei befindet sich in einer Zwickmühle, aus der es keinen einfachen Ausweg zu geben scheint.

Erdogans Türkei: Ein Land, aus dem man schwer herauskommt

Gefangen im Palastregime

Die Türkei ist unter Erdogan zu einem Land geworden, in das man leicht hineinkommt, aber nur schwer wieder herausfindet. Das liegt nicht nur an den Hürden für Auslandsreisen, sondern auch an der zunehmenden Repression im Inneren. Die Türkei gleicht einem Freiluftgefängnis, aus dem es für die Bürger kaum ein Entrinnen gibt. Selbst wenn man ein Visum für den Schengenraum erhält, wird es durch die massiv erhöhte Ausreisegebühr praktisch unmöglich, das Land zu verlassen.

Wirtschaftliche Abschottung

Die Türkei ist für Einheimische wie Touristen gleichermaßen extrem teuer geworden. Während der Urlaub im Nachbarland Griechenland trotz der Abwertung der Lira günstiger ist, können sich viele Türken keinen Urlaub mehr leisten. Laut einer Umfrage verbringen 71,4% der Bevölkerung die Feiertage zu Hause, da ihr Einkommen kaum für die Grundbedürfnisse reicht. Erdogan hat die Ausreisegebühr verzehnfacht, um das Haushaltsloch zu stopfen. Damit treibt er die Menschen immer tiefer in die Armut.

Korruption und Vetternwirtschaft

Obwohl die Türkei eine der größten Volkswirtschaften weltweit ist, profitiert die Mehrheit der Bevölkerung nicht davon. Stattdessen fließen die Steuereinnahmen, insbesondere aus hohen Abgaben auf Importwaren, in die Taschen des Palastumfelds. So verzeichnet das Amt für Nationale Paläste, das Erdogan untersteht, die eklatanteste Ausgabensteigerung. Gleichzeitig gewährt die staatliche Halkbank einem inhaftierten Mafiaboss einen Millionenkredit, was in normalen Staaten zu Ermittlungen und Konsequenzen führen würde. Doch in Erdogans Türkei ist nichts normal.

Unterdrückung der Medien

Jeder Versuch, solche Skandale öffentlich zu machen, wird rigoros unterdrückt. Als eine unabhängige Zeitung über den Millionenkredit an den Mafiaboss berichtete, wurde der Zugriff auf den Bericht per Gerichtsbeschluss gesperrt. Die Aufsichtsbehörde RTÜK, die dem Palast untersteht, warnte umgehend, dass niemand das Recht habe, Halkbank und RTÜK "zu Unrecht anzugreifen". Der RTÜK-Chef, der diese Warnung aussprach, ist selbst Vorstandsmitglied der Bank, die den Kredit vergab. Ein Paradebeispiel dafür, wie Korruption und Vetternwirtschaft in der Türkei Hand in Hand gehen.

Flucht in die Nachbarländer

Angesichts der hohen Kosten für Urlaub in der Türkei und der Schwierigkeiten, ein Visum für den Schengenraum zu erhalten, weichen viele Türken auf die griechischen Inseln in der Nähe aus. Dort können sie mit etwas zusätzlichem Aufwand ein Visum bei der Einreise bekommen. Dies wirkt sich jedoch negativ auf den Tourismus in der Türkei aus, der ohnehin schon unter der Wirtschaftskrise leidet. Erdogan reagiert darauf, indem er die Ausreisegebühren massiv erhöht - ein weiterer Schritt, um die Menschen im Land zu halten.

Flüchtlingskrise als Druckmittel

Neben den innenpolitischen Problemen droht Erdogan auch außenpolitisch unter Druck zu geraten. Sein Bündnispartner Bahceli von der MHP verlangt, das Rückübernahmeabkommen mit der EU zu beenden. Damit würde Erdogan sein wichtigstes Druckmittel gegenüber Europa genommen. Die Türkei beherbergt Millionen Flüchtlinge, deren Weiterreise in die EU die EU-Länder mit Zahlungen an Erdogan verhindert haben. Sollte sich die Türkei aus dem Abkommen zurückziehen, droht ein massiver Flüchtlingsstrom nach Europa - mit unabsehbaren Folgen.Erdogans Türkei befindet sich in einer Zwickmühle. Einerseits braucht er die Annäherung an den Westen, um die Wirtschaftskrise zu bewältigen, andererseits stellt ihm sein Bündnispartner Bahceli Steine in den Weg. Die zunehmende Repression im Inneren und die drohende Flüchtlingskrise machen die Lage für Erdogan immer prekärer. Es scheint keinen einfachen Ausweg aus dieser Situation zu geben - weder für Erdogan noch für die Bürger der Türkei.