Reinheitsgebot in Gefahr?

Jun 26, 2024 at 9:42 AM

Deutschlands Braubranche am Scheideweg: Wie ein Konzern das Reinheitsgebot herausfordert

Die deutsche Braubranche steht vor einem bedeutenden Wendepunkt. Der Konzern AB InBev, der weltweit größte Bierbrauer, hat angekündigt, seine Marke Corona künftig in der zur Unternehmensgruppe gehörenden Hasseröder Brauerei in Deutschland zu produzieren. Damit bricht der Konzern erstmals in großem Stil mit dem seit fünf Jahrhunderten geltenden Reinheitsgebot, das für deutsches Bier weltweit bekannt und geschätzt ist. Die Entscheidung der Behörden, diese Ausnahme zu genehmigen, hat in der Branche für große Aufregung gesorgt.

Ein Tabubruch mit weitreichenden Folgen?

Bedenken in der Branche

Obwohl sich Branchenvertreter nach außen hin gelassen geben, brodelt es hinter den Kulissen. Viele sehen in der Entscheidung einen Tabubruch, der das Reinheitsgebot ins Wanken bringen könnte. Ein Branchenkenner, der anonym bleiben möchte, kritisiert, dass die deutsche Brauwirtschaft eher durch Kopieren als durch Innovationskraft auffalle. Sollte sich Corona auf dem Markt durchsetzen, befürchtet er, dass schnell billige Nachahmer-Produkte folgen werden, die nicht dem Reinheitsgebot entsprechen. Dies könnte die Tür für Massenbiere öffnen, die ohne die traditionellen Vorgaben gebraut werden.

Ausnahmen oder Dammbruch?

Angesichts der geplanten Produktionsmenge von 400.000 Hektolitern in Wernigerode kann laut Branchenexperten von "homöopathischen Mengen" keine Rede sein. Zum Vergleich: Der Ausstoß von Corona lag 2023 bei 340.000 Hektolitern. Bei solchen Volumina befürchten viele, dass das Reinheitsgebot zunehmend an Bedeutung verlieren könnte. Dabei gehe es um nichts Geringeres als das Image der deutschen Brauereien.

Behördliche Entscheidung unter Beschuss

Der Ärger richtet sich dabei vor allem gegen das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt, das den Umzug der Corona-Produktion von Belgien in den Harz ermöglicht hat. Das Amt berief sich dabei auf eine Ausnahmeregelung im "Vorläufigen Biergesetz", die sogenannte "Besondere Biere" zulässt. Laut dem Verband Deutscher Brauer werde diese Ausnahme "immer wieder von Brauereien in Anspruch genommen", insbesondere in den letzten Jahren von Craftbrauern.

Wettbewerbsverzerrung als Hauptkritikpunkt

Viele Brauer sehen in der Entscheidung jedoch eine "Gutsherrenart"-Auslegung der Ausnahmeregelung. Denn Mais sei eine preisgünstige Zutat, die sonst vor allem als Viehfutter oder zur Biogasproduktion verwendet werde. Damit werde erstmals ein Massenbier in Deutschland mit Mais gebraut, was eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung bedeuten könnte. Denn Corona gilt als renditestark und hochpreisig, was die deutsche Brautradition in den Hintergrund drängen könnte.

Craftbier-Debatte als Vergleich

Im Gegensatz zur Craftbier-Debatte der 2010er-Jahre, bei der es keine echte Markenkraft gab, steht nun mit Corona eine international bekannte und beliebte Marke im Fokus. Daher sehen viele Brauer den Fall als deutlich gravierender an. Während Craftbier inzwischen an Bedeutung verloren hat, könnte Corona mit seiner Marktmacht eine echte Bedrohung für das Reinheitsgebot darstellen.

Verbraucherwille und Zukunftsfragen

Beim Deutschen Brauer-Bund zeigt man sich optimistisch, dass 99 Prozent aller Biere weiterhin nach dem Reinheitsgebot gebraut werden. Auch verweist man auf eine Umfrage von 2014, wonach 85 Prozent der Verbraucher am Reinheitsgebot festhalten wollen. Allerdings stellen sich viele Brauer die Frage, ob jüngere Konsumenten das Reinheitsgebot überhaupt noch als wichtig erachten. Denn das süßere Corona könnte gerade bei dieser Zielgruppe besser ankommen. Damit müssen sich die Hersteller zunehmend auseinandersetzen.

AB InBevs Werbestrategie

AB InBev unternimmt bereits einiges, um die Corona-Zielgruppe auf eine Alternative zum Reinheitsgebot einzuschwören. Mit Slogans wie "Gebraut mit 100% natürlichen Zutaten" und Umweltversprechen wie einer "klimaneutralen" Riesenplakatwand in Berlin versucht der Konzern, Corona als moderne und nachhaltige Marke zu positionieren. Für einen pessimistischen deutschen Brauer geht das zu weit: "Wenn das Nachahmer findet, haben die deutschen Brauereien bald keine weiße Weste mehr!"